Glück!

Eine Geschichte von Hans-Uwe Seib

Glück kommt ja bekanntlich von glücklich – nee, halt, umgekehrt! Glücklich kommt von Glück! Tjä, denn weiß ich nu´, dass – nee, warum ich glücklich bin! Nämlich weil ich viel Glück in meinem ganzen Leben hatte, was hoffentlich so bleibt! – Ach ja, das weiß ich ja, dass das so bleibt. – „Wieso“ fragt Ihr? Tjä, das begann mit meiner Geburt am 19.3.1939:

Zu einem meiner ersten Geburtstage, an die ich mich selbst erinnern kann, erklärte meine geliebte Oma mir, dass ich ja am 19.3.1939 zur Welt gekommen wäre. Und dieser Tag fiel auf einen Sonntag! Und Sonntagskinder, so meine Oma, wären Glückskinder, also die hätten immer Glück in ihrem Leben. – Na gut, das fiel mir damals aber nicht so sehr auf und im Laufe meines Lebens vergaß ich diesen Umstand auch schon mal. Aber nun, wo ich immer älter werde, schon mal ansatzweise damit beginne, so ´ne Art Lebens-Bilanz zu ziehen, fällt mir dieser Umstand immer mal wieder ein. Mal sehen, was dabei raus kommt.

Nach meiner Geburt lebte ich zunächst mit meiner Familie in der Hamburger Wohnung Spaldingstraße 64. Oma führte zum Glück einen Obst- und Gemüsegroßhandel auf dem Hamburger Großmarkt, sodass wir noch nicht hungern mussten! Im Gegenteil, meine Mama erzählte mir später mal, dass meine erste richtige Nahrung weich gekochte und pürierte Spargelköpfchen gewesen wären! Besser geht’s doch nicht, oder? Meine Eltern halfen dort auf Omas Marktstand. Aber nur gelegentlich, denn Mama war ja auch mit mir beschäftigt und ihr Mann war Soldat bei der SS und angeblich irgendwo in Wilhelmsburg stationiert. Beide beklagten sich unabhängig voneinander noch lange nach dem Krieg, dass sie dort bei Oma sehr früh am Tag anzutreten hatten. Stimmt, das war auch eines meiner Probleme, als ich 1959 ein paar Monate auf dem Markt arbeitete!

Aber lange kann das nach meiner Geburt nicht mehr so fröhlich und friedlich gewesen sein, denn Georg Seib nahm am 1.9.1939 von Stettin aus am Überfall auf Polen teil. Danach wurde er ans Führerhauptquartier Berlin versetzt und war dort als Zahntechniker tätig. Das war wohl auch der Grund, dass er dort nicht in eine Kaserne zog, sondern eine Wohnung zugewiesen bekam, in die wir dann auch noch im Laufe des Frühjahres 1941 wegen zunehmender feindlicher Bombenangriffe auf Hamburg und den Hafen, übersiedelten. – Was für ein Glück, denn am 13.5.1941 wurde unsere Hamburger Wohnung bei einem Bomberangriff total zerstört! Oma überlebte diesen Bombenangriff gut geschützt in einem Luftschutzkeller! Ihr Großhandel hatte sich erledigt und irgendwie wurde Oma nach Rackwitz in Polen evakuiert. Dort leitete sie dann ein Schülerheim.

In Berlin bezogen wir die o. a., sehr schöne, frei gewordene – ??? – Wohnung (4 Zimmer, Küche, Bad) am Schiffbauer Damm 29, an die ich mich schon etwas erinnern kann. Aber auch dort war man natürlich nicht mehr sicher, weshalb wir anscheinend im August oder September 1943 ebenfalls nach Rackwitz evakuiert wurden. Ein weiterer Grund für unsere Evakuierung könnte gewesen sein, dass Georg Seib an die Front geschickt wurde. Ca. zwei Wochen später wurde das Haus in Berlin übrigens durch Bomben total zerstört. Was für ein Glück, dass wir wieder kurz vorher davon kamen!

An die Zeit dort in Rackwitz erinnere ich mich schon recht gern. Wir lebten dort zum Glück in geordneten Verhältnissen und hatten anscheinend immer genug zu essen. Zumindest bis Weihnachten 1944, denn am 27.12.44 flüchteten wir mit deutschen Soldaten auf Pferdewagen vor den anrückenden Russen! Zwei Erinnerungen an diese Flucht habe ich noch: Einmal mussten wir von unserem Pferdewagen abspringen und uns Schutz suchend in den Straßengraben legen, denn wir wurden beschossen. Ob diese Schüsse aus Kampfflugzeugen oder von Bodentruppen kamen, weiß ich nicht. Aber wir hatten Glück, denn niemand war verletzt worden und wir konnten weiter flüchten. In einem mir nicht bekannten Ort wurden alle flüchtenden Kinder eines Abends in die örtliche Schule „eingesammelt“, dort gut versorgt und zur Nachtruhe in einer Halle hingelegt. Wo die Erwachsenen übernachteten, weiß ich nicht. Am anderen Morgen konnten meine beiden Frauen mich erst nicht wiederfinden, aber Oma setzte sich da wohl irgendwie durch und bekam mich glücklicherweise wieder zurück.

Unsere Flucht endete am 8.2.45 in Weiden, Oberpfalz. Dort bekamen wir zwei Zimmer zugewiesen, eines für Oma und ein anderes für Mama und mich. Wir erlebten dort einen wunderschönen Sommer – jedenfalls habe ich das so in Erinnerung, denn ich war dort glücklich! – Bis ich da in Bayern eingeschult wurde. Daran habe ich keine guten Erinnerungen. Immerhin weiß ich noch, dass ich dort den Unterschied zwischen I und J lernte! – Aha!

Im November wurden wir als „Buten-Hamburger“ zurück in unsere Heimat geschickt. Diese viertägige Reise in offenen Güterwagen, hat auch keine positiven Eindrücke bei mir hinterlassen. Aber wir landeten in Hamburg-Altona und wurden dort in einem Barackenlager einquartiert, in das man heute z. B. keinen einzigen Flüchtling mehr unterbringen würde. – Aber in meiner kindlichen Erinnerung landeten wir in einem Paradies, in dem es vier Jahre lang in jeder Beziehung immer besser wurde: Kriegsende, Frieden, neue und schöne Einschulung, Marshallplan, Gründung der BRD, Einführung der D-Mark usw. Aus heutiger Sicht betrachtet, lebte ich dort in bzw. auf einem riesigen Abenteuerspielplatz und war glücklich. Meine beiden Frauen sahen das ganz bestimmt ganz anders!

Meine Eltern wurden geschieden und meine Mama heiratete „Onkel Heinz“. Egal, mein Leben wurde, neben ein paar recht unschönen Erlebnissen, von lauter positiven Fakten begleitet. 1949 zogen wir in eine unmögliche Dachboden-Wohnung in Hamburg 13 um. Die war auf keinen Fall schön. Trotzdem freute ich mich immer mal wieder über etwas Schönes, dann fand Oma natürlich jedes Mal, dass ich das als Sonntagskind auch verdient hätte! Danke Oma! Diese Glückserlebnisse – Mitglied im Schwimmverein, Geburt meines kleinen Bruders Jürgen, mein erstes Fahrrad, meine erste große Liebe und besonders die Tatsache, dass ich immer in meinem Leben selbst für mich entscheiden konnte – kamen dann stets in eine spezielle seelische Glücks-Schublade! – Zwar wurde in der Familie meines anderen Elternteils auch ein Geschwisterchen geboren, meine Halbschwester Helge nämlich, aber die wuchs ja leider außerhalb meines „Glückskreises“ auf und ich war bereits beinahe ein Erwachsener, als wir uns das erste Mal begegneten.

Dann plätscherte mein Leben in leichtem Wellengang so vor sich hin, bis ich meinen allergrößter Goldklumpen fand: meine herzallerliebste Gisela! – Später wurde dieser Goldklumpen noch mit zwei Diamanten verziert: mit Basti und Tini! – Ach Oma, wenn Du das noch alles miterlebt hättest, würde Dein Kommentar bestimmt nur noch lauten: „siehste, Sonntagskind!“

Nun fehlt noch mein beruflicher Werdegang. Mit einem befreundeten Kollegen diskutierten wir beiden später mal über unsere berufliche Entwicklung. Kurz gefasst kam der Kollege Heinz damals auf die Idee, dass das wie sechs Richtige im Lotto wären! Da ich aber meistens gern etwas weniger euphorisch bin, fand ich, dass fünf Richtige mit Zusatzzahl reichen würden. Heute als Rentner muss ich aber feststellen, dass es glatt sechs Richtige mit Zusatzzahl sind. Wenn ich heute mal unzufrieden sein sollte, liegt es am Wetter!

Schließlich bliebe noch meine Gesundheit: Schlaganfall überlebt, von Krebsarten verschont, keine Hüftgelenke usw. Und das hält nun schon, natürlich begleitet von Höhen und Tiefen, seit bald 86 Jahren an! Lieber Gott, danke dafür und hilf mir bitte dabei, dieses Glück zu konservieren, bis ich oben angekommen bin und mich zwischen Mama und Oma auf die Wolkenbank setzten kann!

Tschüs, HUS

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