Über Gendersprache – für Mitglieder*innen

Ich habe die Nase gestrichen voll vom Gerndern! Nicht weil ich etwas gegen Judith Butler, den Feminismus oder die Queer-Theorie hätte; finde ich alles im Ansatz vernünftig. Es gibt so viele Menschen zwischen den Polen “weiblich” und “männlich”, die unsere Beachtung verdient haben und sich angesprochen fühlen sollten. Nur, wie das Ganze sprachlich in Deutschland gehandhabt wird ist für mich inakzeptabel, weil sich dadurch unsere Sprache nicht natürlich weiterentwickelt, sondern politisch korrigiert wird.
“Nudging” nennt man dieses politisch gewollte und korrekte erzieherische Anstupsen. Insbesondere grüne Menschen, die sich politisch engagieren und großen Anklang bei  diversen Geschlechtern haben, finden, dass wir mittlerweile weit genug sind, gendersensibel zu lesen. Wer bitte ist wir? Sprachliche Umerziehung funktioniert doch nur, wenn die neuen Wortschöpfungen von der Mehrheit der Bevölkerung angenommen werden. Ein Wortkonstrukt wie “Politikerinnen” geht mir weder ohne Stolpern über die Lippen, noch ohne Holpern von der Tastatur. Vermutlich ist das “Sternchen” als ein “Stolperstein” gedacht, als ein Moment des Innehaltens und sich Bewusstmachens, dass es viele Geschlechter gibt. Weitaus wirkungsvoller sind geistreiche und ästhetische Lösungen, die subtil mit dem vorhandenen Vokabular von Bildern und Worten auskommen. Wenn in den Nachrichten über Busfahrer berichtet wird, könnte eine busfahrende Frau ins Bild gesetzt werden. Genial finde ich den Kunstgriff, den Yuval Noah Harari in seinen Büchern anwendet. Da es im Englischen keine weibliche Form für Rollenbegriffe gibt, setzt er weibliche Personalpronomen dagegen. Ein Satz könnte lauten: “Ein Astronom würde nie behaupten, das Weltall sei endlich, weil sie den Beweis nicht erbringen kann.” Ist das nicht kraftvoll und würdevoll zugleich? Allerdings sind die diversen Geschlechter hier nicht explizit inkludiert. Die Generation der Millenials hat offensichtlich keine Schwierigkeiten mit dem richtigen Gendern. Wird das eigentlich “sjendern” oder “gändern” ausgesprochen? Es ist nicht so, dass ich das Gendern ignorieren würde. Schon, um sich bei adressierten Behörden und Organisationen beliebt zu machen und nicht unangenehm als “old school” aufzufallen, habe ich gelegentlich das Sternchen verwendet. Unter längeren Artikeln und Publikationen auch gern einen Hinweis wie: “Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verwenden wir die gewohnte männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung anderer Geschlechter, sondern soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein.“ Das kann allerdings auch als Entschuldigung verstanden werden. Viele Menschen meiner Generation vermeiden beim Schreiben – so gut es geht – solche Substantive, die gegendert werden müssten. “Umweltschützerinnen” werden dann zu “Menschen, die die Umwelt schützen”, was nicht genau das Gleiche beschreibt. Aber die deutsche Sprache ist mächtig und zu fast allem fähig. Daher leisten nur wir in Deutschland uns diesen unsäglichen Luxus politisch korrekt zu gendern. Andere Sprachräume verzichten darauf. Die nordischen Länder, Vorreiter des Feminismus und der Geleichstellung haben bereits vor Jahren weitere politsche Schritte zur sprachlichen Umerziehung aufgegeben.
Wir Deutschen müssen mal wieder die Musterschüler*innen geben: Ohne Vorbild, ohne Leitkultur, ohne starkes Signal auch keine Wirkung. “Was Corona die Maske, ist dem Gendern das Sternchen.” Und wenn wir schon mal dabei sind: Können wir nicht im Zuge der Vereinfachung (Stichwort Leichte Sprache) ganz auf die gegenderten Artikel verzichten? “Das Auto schnitt die Kurve und rammte den Laternenpfahl.” wird zu “De Auto schnitt de Kurve und rammte de Laternenpfahl.” Oder “Eine Reise ohne einen Koffer, ist wie ein Sandwich ohne eine Gurke.” würde zu  “Ne Reise ohne ne Koffer, ist wie ne Sandwich ohne ne Gurke.” Viele unserer Mitmenschen sprechen ohnehin schon so.
Joerg Kilian

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